Gemeinsam mit Bioökonomie im Strukturwandel

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Wie aus Betroffenen Beteiligte werden

Bürgerbeteiligung kurz erklärt

Bürgerbeteiligung scheint in aller Munde zu sein. Was bedeutet es aber, wenn Bürgerinnen und Bürger Empfehlungen für eine ganze Region aussprechen? Was darf Beteiligung und was können von Bürgerinnen und Bürgern getroffene Entscheidungen bewirken?

Im Verbundprojekt BioökonomieREVIER hat bereits ein umfassender Dialog mit organisierten Interessen aus der Region begonnen.

Zudem ist eine Bürgerbeteiligung geplant. Diese Aufgabe übernehmen Forschende aus dem Centrum für Umweltmanagement, Ressourcen und Energie (CURE) der Ruhr-Uni Bochum. Das Team entwickelt und baut ein dialogorientiertes Beteiligungsverfahren für die lokale Bürgerschaft und die Zivilgesellschaft auf. Anschließend werten sie die Prozesse und deren Qualität aus. Dieser Artikel erklärt die grundsätzlichen Prinzipien einer guten Bürgerbeteiligung, die einzelnen geplanten Gruppen – auch Formate genannt - im Projekt BioökonomieREVIER und warum die „Bioökonomie und Flächennutzung“ als Thema gewählt wurde.

Bürgerbeteiligung - warum im Rheinischen Revier?

Bürgerbeteiligung gilt als eine Chance zum Finden von Lösungen in gesellschaftlichen Diskussionen, ohne einzelne Gruppen zurücklassen zu müssen. Abgestimmt wird i. d. R. nicht nach Mehrheiten, sondern im Konsensprinzip, bei dem alle Meinungen gehört und abgewogen werden müssen.

Im Rheinischen Revier steht ein Strukturwandel an, der weite Teile der Wirtschaft und der Gesellschaft umfassen wird. Wenn von Strukturwandel die Rede ist, denken erstmal alle an den Verlust von Arbeitsplätzen. Aber Strukturwandel bedeutet mehr. In diesem Kontext soll eine regionale Strategie zum Thema Bioökonomie gefunden werden. Dabei sollen die Bürger und Bürgerinnen der Region eingebunden werden. Durch den politisch beschlossenen Kohleausstieg und die Notwendigkeit, den Klimawandel zu bremsen und dessen Folgen zu reduzieren, sind andere fossilfreie und weniger klimaschädigende Produkte und Verfahren notwendig. Dabei soll die Bioökonomie eine große Rolle spielen.

Die Umwälzungen in der Region verursachen aber auch Unsicherheit bei manchen Menschen – nicht nur wegen der Gefahr des Arbeitsplatzverlustes. Daher sollen im Rheinischen Revier die Bürger und Bürgerinnen verstärkt an Entscheidungen und neuen Konzepten für die Zukunft eingebunden werden.

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Was wird diskutiert?

Das Thema in den Beteiligungsprozessen ist die nachhaltige Bioökonomie und die Flächennutzung im Rheinischen Revier. Bioökonomie ist kein Nischenthema für biologie- oder technologiebegeisterte Menschen. Vielmehr hat es Relevanz für alle, weil es hier um die zukünftige Aufteilung oder eine Umverteilung von Flächen geht und um die Frage, wie wir zukünftig wirtschaften wollen.

Nicht nur hier - aber auch im Rheinischen Revier - sind die Flächen begrenzt. Viele haben Interesse an Flächen für Gewerbe, Wohnraumneubau, Freizeitflächen, Landwirtschaft oder die Erhaltung von Naturräumen. Dies wirft weitere Fragen auf wie zum Schutz von Böden und Ressourcen aus ökologischer Sicht oder der Energieeinsparung in der gesamten Produktionskette. Auch ist damit zu rechnen, dass der ökologische und konventionelle Anbau und einzelne Ackerfrüchte gegeneinander konkurrieren. Ob bioökonomische Nutzungen andere Ackerfrüchte ersetzen, weiß niemand. Hier sind Prioritäten zu klären und Leitlinien zur Entscheidung der Bodennutzung zu entwickeln.

Die Folgen des Klimawandels zeigen uns auf, dass wir nicht unendlich viel Zeit für Diskussionen haben. Unsere natürlichen Ressourcen sind knapp. Die Weltbevölkerung wird ebenso weiterwachsen. Es stellt sich die Frage, ob ein Ersatz fossiler Rohstoffe durch nachwachsende ausreichen wird. Oder muss die Nutzung aller Rohstoffe viel effizienter und sparsamer sein als heute?

Beteiligung bietet Chancen

An politischen oder gesellschaftlichen umstrittenen Entscheidungen entzünden sich oft die Gemüter. Oft stehen emotionale Erlebnisse einer sachlichen Auseinandersetzung im Wege. Einzelne Bevölkerungsgruppen fühlen sich nicht gehört und die Fronten verhärten sich. So sind Entscheidungen, die der gesamten Gesellschaft zu Gute kommen würden, nur schwer möglich.

Ein Ausweg aus diesen verfahrenen Situationen sind frühzeitige und hochwertige Beteiligungsprozesse. Bei allen Beteiligungsformaten ist der Dialog gleichermaßen Methode und Ziel. Partizipation, wie Bürgerbeteiligung auch genannt wird, sichert den Austausch und die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürgern losgelöst von parlamentarischen Wahlen.

Die Vision ist die Etablierung einer neuen Kultur: Bürger und Bürgerinnen entwickeln eine Kultur der Kooperation, um alte oder neue Konflikte zu bearbeiten und zu lösen. Als Basis dient eine vertrauensvolle Atmosphäre, die gegenseitiges Verständnis und einen sachlichen Austausch ermöglicht. Sie fördert die Glaubwürdigkeit und Anerkennung des Beteiligungsprozesses. Auch rücken regionale Themen wieder stärker in den Fokus der Menschen. Eine frühzeitige Einbindung der Menschen hat den Vorteil, dass sie mitgestalten können. Die getroffenen Entscheidungen werden von den Betroffenen stärker akzeptiert und sind so tragfähiger.

 

Empfehlungen für eine Strategie entwickeln: Die Bürgerversammlung

Wie sehen nun die einzelnen Beteiligungsformate aus, die wir aufbauen? Das Kernstück unseres Projektes ist die Bürgerversammlung. Erstmalig entwickelt und angewendet wurde die Idee und das Modell der Citizens‘ Assembly in Irland. Es ist international etabliert und vielfach erfolgreich angewendet worden. Hier versammeln sich Bürgerinnen und Bürger aus dem Rheinischen Revier. Sie müssen nicht Mitglied einer Partei, eines Vereins oder eines Verbandes sein, auch nicht eine besondere Qualifikation aufweisen. Wir ermitteln die rund 60 Personen per Zufallsauswahl aus der gesamten Region. Alle Sichtweisen sind willkommen. Das Ziel ist, einen annähernden Gesellschaftsquerschnitt in der Versammlung zu erhalten. Die Citizens‘ Assembly entwickelt Strategieempfehlungen für eine nachhaltige Bioökonomie und Flächennutzungsmöglichkeiten, die von möglichst vielen Menschen mitgetragen werden. Durch das breite gesellschaftliche Spektrum der Zusammensetzung der Citizens‘ Assembly entsteht eine breite Zustimmung.

Den Beteiligungsprozess steuern: Lenkungsgruppe

Die Lenkungsgruppe besteht aus zehn Mitgliedern, die die Vertretungen organisierter Interessen im Interessensforum Bürgerbeteiligung Bioökonomie am 16. Juni 2020 gewählt haben. Die Mitglieder der Lenkungsgruppe vertreten die fünf Interessensgruppen Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Sozialpartner, Landwirtschaft, Politik und Verwaltung sowie Wissenschaft.

Das Gremium steuert gemeinsam mit dem CURE den Beteiligungsprozess und vermittelt zwischen den einzelnen Beteiligungsgruppen und der Bevölkerung. Sie wird auch die spätere Umsetzung der Ergebnisse und die Fairness und Gerechtigkeit des Beteiligungsangebotes kontrollieren. Wer Kritik und Anregungen hat, darf sie den Mitgliedern der Lenkungsgruppe schicken.

Lokale Konflikte aushandeln: Bürgerrat und Bürger-Café

Der Braunkohleabbau, die Umsiedlungen und die Proteste im Rheinischen Revier führten zu Konflikten, die in einzelnen Dörfern noch heute nachwirken. Das kann eine faire und konstruktive Zusammenarbeit behindern. Um lokal verortete Themen und Konflikte zu bearbeiten und zu einer Lösung zu finden, können Bürgerräte einberufen werden. Das Forscherteam vom CURE plant zwei dieser Bürgerräte.

In einem Bürgerrat debattiert eine kleine Gruppe von 12 Personen ein Thema, das für die jeweilige Stadt besonders wichtig oder relevant ist. Die Teilnehmenden werden per Los ausgewählt, sodass eine gut gemischte Gruppe an Bürgerinnen und Bürgern der Stadt zusammenkommt. Über das Thema und die Wahl der Gemeinde entscheidet im Lauf des Beteiligungsprozesses die Lenkungsgruppe.

Bürgerräte stellen keine Konkurrenz zur parlamentarischen Demokratie, sondern eine Ergänzung dar. Sie sind auch eine Chance für Einzelne, die sonst sich wenig am politischen Geschehen beteiligen, ihre Wünsche und Ideen zu äußern. Der Bürgerrat bietet unter einer unabhängigen Moderation einen Raum für freie und vertrauensvolle Diskussionen. Dadurch entstehen neue und kreative Ideen und Lösungsvorschläge. Das Ergebnis des Beratungsprozesses ist ein gemeinsames Empfehlungspapier, dass in einem anschließenden Bürgercafé der Öffentlichkeit und der Stadt vorgestellt wird.

Online mitmachen: Beteiligungs-Plattform

Nicht erst seit der Corona-Pandemie sind mehr Menschen online unterwegs. Daher ist eine digitale Beteiligungsmöglichkeit sinnvoll, auch um viel mehr Menschen zu erreichen. Diese bieten wir in Form einer Online-Plattform an.

Die Plattform wird die Informationen und die Empfehlungen aus den einzelnen (analogen) Beteiligungsgruppen für alle Interessierten zugänglich machen. Die Beteiligten können sich mit eigenen Ideen und Wissen einbringen, neue Vorschläge für die analogen Formate machen und sich austauschen. Auch dürfen die veröffentlichten Ergebnisse kommentiert werden.

Jede Bürgerin, jeder Bürger ist eingeladen, sich zu beteiligen. Wir hoffen, so auch einen breiten Querschnitt der Gesellschaft erreichen zu können, damit alle Meinungen der Gesellschaft einfließen. Gesucht ist stets eine für alle oder möglichst viele akzeptable Entscheidung.

Autorin: Ute Goerke, KWI Essen (jetzt CURE)

Ansprechpartnerin

Anke Krüger

Kommunikation

Koordinierungsstelle BioökonomieREVIER

02461 61-85448

FZJ

Erklärt: was ist Bürgerbeteiligung?

Teilhabe oder Mitgestaltung der Bürger an einem Planungsund Entscheidungsprozess durch Information, Konsultation oder Kooperation.

Im Rheinischen Revier gibt es für die Umstellung auf bio-basiertes Wirtschaften einen eigenen Beteiligungsprozeß zum Thema Bioökonomie.

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