Zurück in die Zukunft
11.11.2020
Wenn es um die Zukunft der heimischen Landwirtschaft geht, fällt in letzter Zeit immer wieder ein Stichwort: Bioökonomie. Im Gespräch mit der LZ Rheinland gibt Prof. Dr. U. Schurr einen Überblick über das vielfältige Themengebiet sowie aktuelle Anwendungsmöglichkeiten.
Herr Prof. Schurr, klären Sie doch bitte einmal kurz den Begriff Bioökonomie.
Die Bioökonomie hat ein sehr breites Themenspektrum. Sie fasst Aktivitäten zusammen, die sich alle um die Nutzung biologischer Systeme drehen. Dabei kann es um ökonomische, ökologische, aber auch soziale Wertschöpfung gehen. Dazu gehören zum Beispiel der ganze Bereich Ernährung, aber auch Landwirtschaft und Biotechnologie, sowie Züchtung. Das Thema Lebensmittel spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Und es geht auch, aber eben nicht nur, um den Ersatz von fossilen Rohstoffen.
Sie sind Initiator der Modellregion BioökonomieREVIER. Worum geht es da, was hat dieses Projekt mit dem Rheinland und seinen Landwirten zu tun?
Aus der langjährigen wissenschaftlichen Arbeit unseres Instituts am Forschungszentrum Jülich und der anderer Forschungseinrichtungen der Region sind viele anwendungsbezogene Dinge hervorgegangen. Die haben wir bisher nie so richtig in die Praxis umsetzen können. Gleichzeitig steht der Strukturwandel im Rheinischen Revier infolge des Ausstiegs aus der Braunkohle an. Im Prinzip erlaubt uns das erstmalig, eine komplette Region auf eine bioökonomische Basis umzustellen. Dafür arbeiten wir mit vielen Beteiligten zusammen, mit Landwirten genauso wie mit der Industrie, der Wissenschaft, Kommunen, Zweckverbänden und mit der Zivilgesellschaft. Zusammen wollen wir ausprobieren, was sich von dem, was wir wissenschaftlich erarbeitet haben, auf die Region übertragen lässt.
Also vom Labor oder dem Gewächshaus den Schritt raus ins Feld zu machen?
Ganz genau. Unsere Forschung hat einen Anwendungsbezug, mit dem wir einen ganz realen Nutzen erzeugen wollen. Hierfür arbeiten wir mit einzelnen Landwirten, Maschinenringen oder der Lebensmittelindustrie zusammen. Wir schaffen zum Beispiel Demonstrationsflächen, auf denen man ganz neue Agrarsysteme aufbauen kann. Es entstehen gerade Feldlabore, wo Agrorobotik ausprobiert wird. Im Weiteren geht es um Pflanzenzüchtung und die Frage, wie sich eine bessere Nutzung von Nährstoffen und Wasser erreichen lässt. Anhand dieser Demonstrationsobjekte kommen wir mit Landwirten ins Gespräch und können unsere eigenen wissenschaftlichen Fragen um deren konkrete Herausforderungen aus der Praxis ergänzen. Dieser Dialog ist also zweiseitig. Landwirte fragen uns, wie sie sich dem Klimawandel und der Trockenheit stellen können: Welche Pflanzen können angebaut werden? Gibt es Wertschöpfungsketten, die sich erschließen lassen? Ferner geht es um Grundsätzliches wie die Digitalisierung, etwa um den Sendestandard SG. Und es geht um praktische Aspekte wie den Ausbau der schon jetzt im Betrieb vorhandenen Digitalisierung.
Wie können interessierte Landwirte in diesen Austausch treten, wenn sie ein Anliegen oder neue Ideen haben?
Zum einen bieten wir Veranstaltungen an, wie etwa unser Landwirtschaftsforum. Zum anderen gibt es den direkten Austausch mit Einzelnen, die etwas gemeinsam ausprobieren möchten. Hier sind zum Beispiel die Initiatoren der Rheinischen Ackerbohne, die Maschinenringe oder die Buir-Bliesheimer Agrargenossenschaft sehr aktiv. Mit diesen Partnern treffen wir uns häufig, um zu lernen, was die Praxis bewegt. Darüber hinaus gibt es eine Gruppe von Junglandwirten, die ihre Ideen gemeinsam mit uns umsetzen wollen. Wir haben ein Netzwerk in die Landwirtschaft, mit dem wir regelmäßig zusammenarbeiten. Umgekehrt sind wir jederzeit direkt ansprechbar (Anmerkung der Red.: Kontaktdaten finden sich auf der Website www.biooekonomierevier.de oder der gleichnamigen App). Generell verstehen wir uns als Motor für neue Ideen. Wir müssen nicht alles selbst machen. Wir bringen Akteure zusammen, die bislang noch nicht vernetzt waren, also zum Beispiel Landwirte und Wirtschaft.
An welchen Fragen arbeiten Sie und Ihr Team momentan und welche könnten in absehbarer Zeit relevant für die landwirtschaftliche Praxis werden?
Da gibt es beispielsweise ein Projekt, das sich „Digitales Geosystem Rheinisches Revier" nennt und von unserem Schwesterinstitut IBG-3: Agrosphäre durchgeführt wird. Hier entsteht ein digitales Infrastruktursystem für eine ganze Region, um zum Beispiel Bodenwettervorhersagen für die Landwirte zu erstellen. Hiermit lassen sich idealerweise schlaggenau die Wassergehalte in verschiedenen Bodentiefen angeben. Verknüpft mit den Bodenkarten und Wetterdaten, ergeben sich Hinweise für die Aussaat oder die Ausbringung von Pflanzenschutz- und Düngemitteln. Es geht hier um eine flächendeckende Digitalisierung in der Landwirtschaft. In einem weiteren Projekt beschäftigen wir uns mit Fragen der Pflanzenzüchtung und des Klimawandels. Hier wird das Pflanzenwachstum auf marginalen Flächen getestet. Dies sind Böden, die zu schlecht sind für die landwirtschaftliche Nutzung. Zurzeit arbeiten wir mit RWE daran, eine Fläche mit standardisiert schlechten Böden unterschiedlicher Marginalitätsstufen zu schaffen. Auf diesen Flächen können wir dann im Züchtungsprozess testen, wie neue Genotypen mit wenig Wasser und wenig Nährstoffen zurecht kommen. Im Fokus steht hier sowohl die Untersuchung der Wasser- und Nährstoffeffizienz von Nutzpflanzen, aber auch die Entwicklung von Pflanzen, die später real auf schlechten Böden genutzt werden könnten - wie das zum Beispiel für nachwachsende Rohstoffe oder Energiepflanzen der Fall sein wird.
Geht es neben neuen Kulturen zum Beispiel auch um den Ersatz von Rohstoffen fossilen Ursprungs?
Ja, es geht auch um den Ersatz fossiler Rohstoffe. In dem Fall liegt das Augenmerk aber vor allem auf der Nutzung marginaler Standorte und nicht auf den besten Standorten, da diese für die Nahrungsmittelproduktion reserviert bleiben sollen. Dabei geht es in Richtung mehrjähriger Anbausysteme, deren Kulturen sich energetisch oder als Grundstoff für die chemische Industrie nutzen lassen. Wir konzentrieren uns allerdings nicht primär auf die Nutzung von Pflanzen für die Bioenergie. Die energetische Nutzung kommt erst ins Spiel, wenn man keine andere Verwendungsmöglichkeit mehr findet. Wir wollen schon vorher ansetzen und neue Nutzungsmöglichkeiten finden. Davon gibt es eine ganze Reihe, etwa die Verwendung von Faserpflanzen für Verpackungsmaterial oder von Pflanzen als alternativer Rohstoff statt Holz für die Papierindustrie. Ein anderes Thema sind Pflanzen als Rohstoffe für die Pharmabranche oder die kosmetische Industrie. Wir befassen uns unter anderem mit Arnika, wo auch eine agrarische Nutzung denkbar ist. Relativ bekannt in der Region ist die Rheinische Ackerbohne. Hier läuft der Anbau schon - angetrieben durch innovative Landwirte in der Region. Jetzt geht es auch um die Frage, welche Produkte man daraus machen kann. Die Landwirtschaft muss mehr an der Wertschöpfung beteiligt werden.
Geht es auch darum, Bestehendes mit neuen Prozessen zu ermöglichen, um zum Beispiel Ressourcen zu schonen oder Verbesserungen im Sinne von Klima-oder Umweltschutz zu ermöglichen?
Genau, auch das. Es gibt zum Beispiel ein Projekt, bei dem wir mit einem Landwirt zum Thema Bewässerungssysteme zusammen arbeiten. Die Frage ist hier: Wie kann man trotz anhaltender Trockenheit eine weiterhin gute Wasserversorgung für die Pflanze gewährleisten? Wir haben es gerade in diesem Jahr wiedererlebt, dass, wenn die Außentemperatur 38 °C beträgt, die Beregnungskanonen laufen. Das vergeudet unendlich viel Wasser. Hier muss man sich anschauen, wie man auf der einen Seite Bewässerungssysteme optimieren und auf der anderen die Bodenstruktur verbessern kann, um die Wasserhaltefähigkeit zu erhöhen.
Welche wirtschaftliche Bedeutung könnte die Bioökonomie in all ihrer Spannbreite für die praktische Landwirtschaft haben?
Die Landwirtschaft steht heute unter einem massiven Druck, wirtschaftlich ebenso wie in der Gesellschaft. Das heißt, es geht darum, eine Perspektive für die heimische Landwirtschaft zu entwickeln. Hier stellt sich die Frage nach der Landnutzung und möglichen Nutzungsalternativen. Können wir zum Beispiel alternative Systeme wie Agroforst machen oder können wir PV Module, wie sie jetzt auf landwirtschaftlichen Flächen eingesetzt werden, so umgestalten und höher setzen, dass darunter noch eine zweite Nutzung mit Spezialkulturen möglich wird? Die Zielstellung ist, mehr Wertschöpfung in die Landwirtschaft zu bekommen, indem man andere Nutzungspfade erschließt als bisher. An vielen Stellen bedeutet das auch - und da muss man natürlich sehr aufpassen - andere Geschäftsmodelle zu entwickeln, sodass die Landwirtschaft eben nicht nur Rohstofflieferant ist, sondern auch mehr Wertschöpfung daraus zieht. Die Landwirtschaft soll als wesentlicher Spieler der Wertschöpfungskette auftreten. Dies kennen wir bereits aus dem Lebensmittelbereich. Lebensmittel sind im Allgemeinen zu billig und von dem günstigen Preis kommt dann auch noch zu wenig Geld beim Landwirt an.
Das ist die monetäre Seite. Sehen Sie noch andere Ansätze, wo die Bioökonomie der Landwirtschaft weiterhelfen kann?
Sicherlich kann Bioökonomie dazu beitragen, dass sich Landwirtschaft und Naturschutz annähern. Denn es kommt dazu, mehr Ökologie und Biodiversität in die Landwirtschaft zu bringen. Aber es geht genauso um die Kommunikation. Beim BioökonomieREVIER ist ein wesentliches Ziel, auch der Bevölkerung darzustellen, was Landwirtschaft heute wirklich ist. Hier bestehen häufig recht abstruse Vorstellungen darüber, was Landwirtschaft eigentlich tut - bis hin zu der Vorstellung, dass diese absichtlich Böden zerstört. Hier sehen wir uns als Vermittler, der aufzeigt, was Landwirtschaft ausmacht und wie eine Zukunft als ökologischer und ökonomischer Faktor in der Region aussehen kann.
Wenn es auch um Rohstoffe vom Acker geht, besteht nicht die Gefahr, dass sich so etwas wie vor Jahren die Teller-oder-Tank-Diskussion entspinnt?
Diese Diskussion sollte man offensiv führen. An vielen Stellen wird dies gar keinThema sein, nämlich dann, wenn es von einer herkömmlichen zu einer Kaskadennutzung kommt. Statt einem produziert ein Landwirt gleich mehrere Produkte an der gleichen Stelle. Ein Beispiel: Herkömmliche Ölsaaten liefern Öle und Presskuchen. Bei bestimmten Distelarten lassen sich aus den Blättern außerdem noch Fasern gewinnen. Diese Mehrfachnutzung ergibt eine höhere Wertschöpfung und damit eine Kombination einer stofflichen Nutzung mit Ernährung und Rohstoffproduktion. Man darf allerdings nicht vergessen, mit dem Bürger über seinen Konsum zu reden und klar zu machen, dass wir angesichts von Möglichkeiten nachwachsender Rohstoffe Nutzung und Verschwendung nicht in gleicher Weise weiter treiben können wie bisher. Das gilt auch für den Ernährungsbereich, wo heute 30 bis 40 % der Nahrungsmittel weggeworfen werden. Auch das gehört in die Kommunikation mit den Bürgern.
Warum gehört der Ernährungsbereich auch zum Thema Bioökonomie?
Weil wir sowohl mit Landwirten, die selbst ihre Produkte vermarkten, als auch mit Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft kooperieren. Mit beiden arbeiten wir gerade daran, was man aus Resten der Lebensmittelproduktion, die eigentlich noch eine hervorragende Qualität haben, noch alles an anderen Produkten machen kann. Vielleicht lassen sich daraus andere Lebensmittel machen und somit wird vermieden, teuer hergestellte Lebensmittel wegzuwerfen. Ferner entstehen Reste in der Lebensmittelindustrie, die nicht mehr in den Nahrungsmittelbereich zurückgehen können. Diese finden Anwendung als Rohstoff für Materialien für die chemische Industrie. Heute kommen solche Reststoffe oft in die Biogasanlage und man hat nur eine energetische Nutzung. Damit wären wir wieder bei der Zielsetzung einer Kaskadennutzung, für die keine zusätzliche Fläche nötig ist, sondern ein Rohstoffkreislauf in Gang gesetzt wird, in den möglichst viel wieder eingespeist wird. Alles, was auf den Flächen produziert wird, soll möglichst optimal ausgenutzt werden.
Das erinnert an Bauernhöfe früherer Tage, wo alles, was erzeugt wurde, verwertet und schließlich wieder dem Boden zugeführt wurde.
Aber genau das muss man machen! Die Logik war ja nicht schlecht, möglichst alles zu verwenden, was produziert wurde. Das muss man heute natürlich etwas anders denken, in einer größeren Region und mit anderen wirtschaftlichen Partnern. Aber im Prinzip geht es tatsächlich darum, eine möglichst multivariante Nutzung von Biomasse zu machen und Kreisläufe zu schließen. Das spricht besonders für eine Regionalität. Vereinfacht ausgedrückt, gibt es regionale Bioraffinerien für bestimmte Produkte, etwa Materialgrundstoffe oder Chemikalien. Die Optimierungsaufgabe liegt weniger in dem einen Produkt, sondern darin, die Stoffströme optimal zu gestalten, sodass etwa die Reststoffe als gut verfügbare Dünger oder Kohlenstoffquelle wieder auf das Feld zurückkommen.
Das Interview führte Detlef Steinert, Chefredakteur LZ Rheinland
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der LZ